Eine kurze Geschichte
Die Seele packte ihr Köfferchen, denn es war Zeit, die himmlischen Gefilde zu verlassen. Sorgfältig legte sie Achtsamkeit, Dankbarkeit, Anmut und Liebe hinein. Es folgte Erinnerung, Wahrheit und Hingabe.
Der körperliche Schmerz drückte sie nieder und keine Bewegung war mehr möglich.
So sass sie da unter diesem Baum und sah die Zeit ihres Lebens an sich vorbeiziehen und die Wut der Groll und die Traurigkeit waren der totalen Leere gewichen ... Nichts um sie herum schien noch zu leben, einzig der alte Baum, gab ihr ein wenig Halt.
Plötzlich begann ein leiser Wind zu wehen, er wisperte und flüsterte... Erst verstand die Seele nichts und sie wollte auch nichts mehr hören, war des Hörens müde geworden.
Und doch drang an ihr Ohr ... Erst leise ... Dann etwas lauter "erinnere dich" ...
Die Seele erinnerte ihr Leben und zwischen all der Dunkelheit sah sie auch Momente des Glücks und der Helligkeit. Und plötzlich sah sie das kleine Kind, es tauchte vor Ihr auf und trug ein kleines Köfferchen....
Das Kind forderte die Seele auf ihm zu folgen. Und der Seele wurde es plötzlich ganz warm ums Herz... Und mit dem letzten Mut und dem letzten Vertrauen folgte sie dem Kind. Und das Kind sprang fröhlich und sicher durch den Sumpf. Und im Zwielicht des Sumpfes, sah die Seele eine unscheinbare Hütte.
Von innen drang ein warmes Licht heraus. Versunken betrachtete sie das kleine einfache Häuschen. Sie drehte sich nach dem Kind, doch das war verschwunden.
So klopfte sie vorsichtig an der Tür und wartete einen Augenblick. Nichts regte sich. Ganz langsam öffnete sie die angelehnte Tür und warmes Kerzenlicht empfing die Seele.
Nur ein Stuhl und ein Tisch waren zu sehen und mitten auf dem Tisch, neben einer Kerze lag ein kleines Köfferlein.
Wie erstarrt und kaum einer Bewegung möglich näherte sich die Seele Tisch und Koffer. Er ließ sich auf dem Stuhl nieder und öffnete vorsichtig den Koffer.
Und als die Seele das Köfferchen öffnete, erinnerte sie sich. Ein Lächeln ... zog über Ihr altes Gesicht und sie richtete ihren Blick dankbar nach oben.
Quelle: Claudia Weyer
Gott reichte ihr zum Schluss noch die Demut und die Geduld und verabschiedete sich liebevoll von Ihr.
"Liebe Seele, du hast dir ganz bewusst einen langen, schweren Weg gewählt. Du kannst jetzt noch die Entscheidung treffen, doch einen leichteren Weg zu wählen, denn du bist bereits eine erfahrene Seele und musst das nicht mehr auf dich nehmen."
Die Seele antwortete: "Lieber Gott, doch ich wählte eben diesen Weg, damit ich noch vollkommener werden kann, dass ich noch mehr lerne, was die Liebe ist und begebe mich vertrauensvoll auf diesen Weg, im Gewahrsein, dass ich von dir getragen werde."
Und so umarmten sie einander und die Seele hatte den Weg des Schmerzes und des Vergessens gewählt.
So sank die Seele kurz darauf nieder und wurde geboren in eine Welt aus Schmerz und Dunkelheit. Und bereits in der Kindheit erfuhr die Seele weder Liebe noch Anteilnahme, erfuhr Ablehnung und Gewalt.
Und nach einigen Jahren hatte die Seele vergessen, dass sie den Koffer mitgebracht hatte auf die Erde und sie vergaß das Reich Gottes und sie vergaß vor lauter Schmerz zu beten und fühlte sich immer leerer und einsamer.
In dieser Zeit übernahm das Ego die Führung und der Seelenraum wurde immer kleiner und der Koffer war vollends in Vergessenheit geraten. Der Sumpf, in den die Seele geriet war riesig, jeder Schritt schmerzte und es war ein Sumpf in ewiger Dunkelheit, Irrlichter ließen die Seele tiefer und tiefer ins sumpfige Labyrinth geraten. Menschen, die Ihr dort begegneten wiesen hierhin und dorthin. Und so geriet sie immer mehr in die Irre.
Vor lauter Erschöpfung liess sie sich eines Tages nieder, unter einem knorrigen alten Baum. Ausgelaugt und leer war sie, das Funkeln des Lebens war trüb geworden.